- Kalif
- Ka|lif 〈m. 16〉1. 〈bis 1924 Titel für〉 Oberhaupt der Sunniten als Nachfolger Mohammeds2. 〈später〉 türk. Sultan[<mhd. kalif <arab. halifa „Nachfolger, Stellvertreter“ (nämlich des Propheten in der Herrschaft über die Gläubigen)]
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a) <o. Pl.> Titel islamischer Herrscher als Nachfolger Mohammeds;b) Träger des Titels Kalif (a).* * *
Kalif[mittelhochdeutsch kalīf, von arabisch h̲alīfah »Nachfolger«, »Stellvertreter«] der, -en/-en, seit Mohammeds Tod 632 der offizielle Titel seiner Nachfolger in der Herrschaft über die muslimische Gemeinschaft (Kalifat); seit 634 trat dazu der Titel Amir al-muminin (»Beherrscher der Gläubigen«). Daneben konnte Kalif im islamischen Bereich Stellvertreter aller Art bezeichnen und war gelegentlich auch Personenname.Nach sunnitischer Auffassung musste der Kalif von einem Kollegium führender Persönlichkeiten gewählt werden; Voraussetzung für die Wählbarkeit war, dass er dem arabischen Stamm Koraisch angehörte und keine körperlichen oder geistigen Mängel besaß. Die Anerkennung der Wahl erfolgte durch Treuegelöbnis der obersten Würdenträger des Staates. Der Kalif hatte die Pflicht, den Bestand des islamischen Herrschaftsgebietes (Dar al-Islam) zu bewahren, es zu erweitern und die islamische Rechtsordnung zu sichern; im Glaubenskrieg (Djihad) führte er den Oberbefehl. Die Nennung seines Namens in der Freitagspredigt bedeutete, dass man ihn als legitimes Oberhaupt anerkannte. Der Kalif hatte jedoch keine Autorität in Glaubens- und Rechtsfragen.Von den Schiiten wurde das sunnitische Kalifat niemals anerkannt, und von ihnen nahmen nur die ismailitischen Fatimiden (909-1171) den Kalifentitel an.Nach dem Tod Mohammeds folgte Abu Bakr, der erste der vier »rechtgeleiteten« Kalifen, dem die Wahrung von Mohammeds Lebenswerk zu danken war. Dagegen war Omar I. (634-644) der eigentliche Begründer und Organisator des islamischen Großreiches, das sich über ganz Arabien, Syrien und Palästina, Mesopotamien, Iran, Ägypten und das angrenzende Nordafrika ausdehnte. Bei der Ermordung des dritten Kalifen, Othman (656), und der Doppelwahl von Ali Ibn Abi Talib und Moawija zerbrach die innere Einheit: Die Spaltung in Sunniten, Schiiten und Charidjiten besteht bis heute.Obwohl die sunnitische Mehrheit an dem ursprünglichen Wahlprinzip festhielt, setzte sich nach dem Tod Alis (661) faktisch die Dynastie der Omaijaden durch; diese betrachteten sich in erster Linie als weltliche Herrscher innerhalb der arabischen Stammesaristokratie. Nach Medina und Kufa wurde nun Damaskus neue Kalifenresidenz.Von ihnen sind neben dem Dynastiegründer Moawija I. (661-680) besonders Abd al-Malik (685-705) als Vereinheitlicher der Verwaltung und Walid I. (705-715) als Organisator der zweiten großen Ausdehnungsbewegung des Islams (Pandschab, Transoxanien, Spanien) von Bedeutung. Aber das Hinzukommen nichtarabischer Muslime, deren Eingliederung in das Staatsgefüge Omar II. (717-720) durch politische Zugeständnisse erleichtern wollte, führte trotz Hischams (724-743) einsichtsvoller Regierung zu einer religiös motivierten, stark von Persern getragenen Rebellion gegen die Omaijaden, deren Herrschaft weite Kreise der Gläubigen als weltlich und die nichtarabischen Muslime als einseitig arabisch empfanden. Diese Bewegung brachte im Osten des islamischen Reiches 749/750 die Abbasiden zur Macht, während in Spanien 756 ein neues, bald zur Hochblüte gelangendes omaijad. Reich entstand, dessen »Emire« sich erst seit 929 wieder Kalif nannten (bis 1031). Hierdurch wurde die Auflösung des Kalifats in Einzelstaaten eingeleitet.Die Abbasiden, die sich seit 762 in Bagdad eine neue Residenz außerhalb des unzufriedenen Syrien schufen, konnten durch Persönlichkeiten wie Mansur (754-775), al-Mahdi (775-785), Harun ar-Raschid (786-809) und al-Mamun (813-833) ihre Herrschaft fest begründen und sie gegen politisch und religiös Unzufriedene (z. B. gegen die Manichäer) sowie gegen byzantinische Angriffe als einen sunnitischen Staat mit arabischer Verwaltungs- und Gelehrtensprache durchsetzen. In ihm gewann das Persertum tief greifenden Einfluss, der sich auch in der Durchsetzung iranischer und altvorderorientalischer Anschauungen vom Gottesgnadentum der Herrscher bemerkbar machte. Die Kalifen förderten zwar in gewissen Grenzen ab Ende der 820er-Jahre die Aufnahme hellenistischen Gedankengutes in den Islam (Mutasiliten) und konnten 847 die islamische Orthodoxie endgültig wieder herstellen. Sie vermochten aber bei aller kulturellen Blüte und materiellem Wohlstand nicht die auseinander strebenden Kräfte der einzelnen Landschaften zu vereinen (Nordafrika mit dem neu gewonnenen Sizilien und Sardinien, Ägypten, Syrien, Teile Mesopotamiens und der Arabischen Halbinsel, Iran, Pandschab) und wurden zum Teil von religiösen und sozialen Aufständen (z. B. durch Charidjiten und Karmaten) schwer bedroht. Seit 833 kamen sie durch die Aufnahme türkischer Söldner mehr und mehr unter die Herrschaft von Prätorianern (838-883 Residenz in Samarra), die Kalifen auch abzusetzen wagten, und sanken 945 zu politischer Bedeutungslosigkeit herab, als die schiitischen, iranischen Bujiden sich Bagdads bemächtigten und die weltliche Herrschaft in Mesopotamien übernahmen. Zwar wurden die Abbasiden 1055 von der schiitischen Oberherrschaft und der fatimidischen und ismailitischen Bedrohung durch die sunnitischen Seldschuken befreit, hatten nun aber auch die weltliche Macht verloren, auch als die seldschukische Macht im 12. Jahrhundert dahinschwand. Freilich blieb ihnen - durch die Erwähnung in der Chutba und die Münzprägung dokumentiert - der religiös bedingte Nimbus nomineller Herrscher der (sunnitischen) islamischen Welt erhalten. Indem die meisten Herrscher der Einzelländer formell ihre Bestallung von ihnen erbaten, blieb ideell die Einheit des Kalifenreiches noch gewahrt und das islamische Einheitsbewusstsein erhalten.Den Nimbus der Kalifen machten sich nach dem Sturz der Abbasiden durch die Mongolen 1258 die Mamelucken als Erste zunutze, indem sie sich seit 1261 Abkömmlinge einer Zweiglinie der Abbasiden in Kairo als »Kalifen« hielten (»Schein- beziehungsweise Schattenkalifat«), die jedoch außerhalb nur von einigen nordindischen Staaten und zeitweilig von der Goldenen Horde anerkannt wurden. Daneben nannten sich auch andere Fürsten Kalif, z. B. die Mogulkaiser (Mogul). Das ägyptische Kalifat erlosch 1517 mit der türkischen Eroberung.Der Kalifentitel ging an den osmanischen Sultan über, obwohl dieser nicht von den Koraisch abstammte; er hatte ihn freilich schon früher gelegentlich zu führen begonnen. Im 18. Jahrhundert konnten die Sultane dem Westen in Anlehnung an die Idee des Papsttums und entsprechend dem Verlangen des Zaren nach einer Oberherrschaft über die Orthodoxen suggerieren, sie seien als Kalif geistige Oberherren aller (sunnitischen) Muslime; der Friedensschluss von Kütschük Kainardschi (1774) bekräftigte diese Vorstellung.Mit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg, der Abschaffung des Kalifats durch die Türkische Republik am 3. 3. 1924 und der Ausweisung des letzten Kalifen Abd ül-Medjid II. ging die Kalifenherrschaft zu Ende. Als sich am 5. 3. 1924 der König des Hidjas, Husain, zum Kalifen ausrief, blieb das ebenso Episode wie die Khilafatbewegung, die Konferenzen in den 1920er-Jahren und die Bestrebungen König Faruks I. von Ägypten kurz vor seinem Sturz 1952.I. Goldziher: Muhammedan. Studien, Bd. 2 (1888, Nachdr. 1971);E. Tyan: Institutions du droit public musulman, Bd. 1: Le califat (Paris 1954);T. W. Arnold: The Caliphate (Neuausg. London 1967);J. M. Landau: The politics of Pan-Islam (Neuausg. Oxford 1994).* * *
Universal-Lexikon. 2012.